Elbrus über die Nordroute
Auf der Route der Erstbegeher auf den höchsten Berg Europas
ca. 16 Minuten LesezeitProlog
Seitdem ich im Sommer 2012 am Damavand (Iran) zum ersten Mal dünne Höhenluft schnuppern konnte, wusste ich: Auf dem etwa gleich hohen Elbrus möchte ich auch einmal stehen. Mich reizte dabei natürlich nicht nur die Höhe und die formschöne Gestalt dieses doppelgipfligen Eisriesen, sondern auch die Tatsache, dass der Elbrus nach der Auffassung vieler der höchste Punkt des geografischen Europas darstellt. So schlummerte dieser Gedanke, einmal nach Russland zu reisen und den Elbrus in Angriff zu nehmen, in meinem Hinterkopf… bis Andi mich anfragte, ob ich ihn auf seiner Kaukasus-Reise begleiten würde, um Gipfel in Südossetien und Abchasien zu besteigen. Schnell war der Entschluss gefasst: Ich würde zwei Wochen mit Andi unterwegs sein und im Anschluss mit irgendjemandem das Glück am Elbrus versuchen. Dieser ‚irgendjemand‘ war dann auch bald einmal bekannt: Mein jüngerer Bruder – am Damavand musste er am Gipfeltag wegen Höhensymptomen leider umkehren – würde mich begleiten. Bergabenteuer mit Brüdern finde ich besonders wertvoll: Man kennt sich, kann sich blind vertrauen, hat oft ähnliche Ansichten, und während den langen Nachmittagen in den Camps geht der Gesprächsstoff nicht so schnell aus.
Im Frühling beantragten wir die Visa für Russland und buchten die Flüge, verglichen verschiedene lokale Tourenanbieter und entschieden uns schliesslich für ElbrusTours. Diese Agentur machte einen verlässlichen Eindruck und die Kommunikation mit Irina (im Office in Moskau) und Anastasia (vor Ort in Kislovodsk) war in Englisch problemlos möglich. In den Wochen vor der Abreise kauften wir noch ein paar Ausrüstungsgegenstände und den Proviant ein. Schliesslich reiste ich anfangs August mit Andi in den Kaukasus und erlebte zwei spannende Wochen mit gutem russischen Bier, Schaschlik und der erfolgreichen Besteigung des Kasbek. Mein Bruder verbrachte zur Akklimatisation zweieinhalb Tage in der Lodge auf dem Klein Matterhorn war damit gut akklimatisiert.
Hier wäre die Geschichte beinahe zu Ende gegangen, denn Andi und ich sassen plötzlich in Cherkessk fest und wurden wegen administrativer Probleme von keinem Hotel mehr beherbergt – man hatte uns bei der Rück-Einreise von Georgien nach Russland keine Migrationskarte aushändigen wollen, und ohne diese dürfen/wollen einige Hotels einem nicht unterbringen. Also sassen Andi und ich im Zug nach Moskau und telefonierten mit der Schweizer Botschaft. Dort riet man uns, ohne Migrationskarte das Land am besten zu verlassen. War damit das Projekt ‚Elbrus‘ gestorben? Schlussendlich reiste ich von Moskau auf gut Glück zurück in den Kaukasus, in der Hoffnung, die Hotelangestellten in Kislovodsk würden nicht so kleinlich sein wie diejenigen in Cherkessk. Und so war es denn auch: Mir wurde auch ohne Migrationskarte eine Registration ausgestellt und ich musste nicht unter der Brücke schlafen. Und wenn jeweils an den Bus- und Zugbahnhöfen die Polizisten nach dem Pass und der Migrationskarte fragten, konnte ich leider weder Englisch noch Russisch.
Genug der langen Rede, nun zum wichtigen Teil:
Allgemeine Informationen
Routen am Elbrus
Den Elbrus kann man eigentlich von allen Himmelsrichtungen besteigen. Deutlich am häufigsten begangen ist die Südroute. Die Nordroute ist die Route der Erstbegeher und ist deutlich weniger frequentiert. Sie erfreut sich aber zunehmender Beliebtheit – so wie es halt überall ist: Man sucht das Natürliche, Wilde, Einsame, Unbekannte. Und schreibt darüber. Und damit wird es populärer, häufiger frequentiert. In 10 Jahren gibt’s vielleicht auch auf der Nordseite des Elbrus Hotels und Bergbahnen. Leider.
Südroute: Ausgangspunkt ist das Dorf Terskol bzw. Azau etwas oberhalb. Bergbahnen führen bis auf 3700m. Hütten sind vorhanden. Und wenn man möchte, kann man sich mit dem Raupenfahrzeug bis unter die Pastukhov-Felsen hochfahren lassen. Aber auch dann sind es noch 1000 Höhenmeter, die man aus eigener Kraft bewältigen muss. Aufgrund der Infrastruktur ist diese Route auch stark frequentiert. Und das war der Grund, weshalb wir es stattdessen auf der Nordseite versuchen wollten.
Nordroute: Der Ausgangspunkt, das Basislager auf 2600m, ist mit einem Geländefahrzeug von Kislovodsk in ca. 3 Stunden zu erreichen. Von dort geht man zu Fuss. Das Hochlager (Severnyj Prijut) befindet sich auf ca. 3750m und dient meist als Ausgangpunkt für die Gipfelbesteigung. Manche übernachten auch auf ca. 4700m bei den Lenz-Felsen, davon rate ich aber eher ab (mehr dazu später). Vom ’normalen‘ Hochlager sind es also etwa 1900Hm bis zum Gipfel, was auf dieser Höhe eine schöne Menge ist.
Technisch gesehen sind die beiden Routen vergleichbar: Man bewegt sich ab dem Hochlager auf mässig geneigtem Gletscher. Spalten gibt es – darauf sollte man auch achten – technische Eis- oder Felspassagen gibt es jedoch nicht zu überwinden.
Anfahrt zum Base Camp (aka Emanuel Glade Camp)
Ausgangspunkt ist der Kurort Kislovodsk. Von dort führt eine Strasse nach Süden in Richtung Elbrus. Die Gesamtstrecke beträgt 75 Kilometer, wobei 3800Hm rauf und 2100Hm runter gefahren werden muss; die Strasse führt nämlich über mehrere Pässe, mal steil hoch, dann wieder steil runter ins nächste Tal. Oben auf den Pässen hat man schöne Rundsichten auf die Hochebenen des Kaukasus-Vorlandes. Früher war die gesamte Strecke offenbar nur für Geländefahrzeuge bewältigbar. Vor einigen Jahren wurde jedoch mit dem Bau einer sehr komfortablen, breiten Asphaltstrasse begonnen, die von Kislovodsk zu den Quellen von Dzhyly-Su, unweit des Base Camps, führt. Etwa 10km vor dem Base Camp biegt man von der Strasse auf eine Geländepiste ab, die – zuletzt noch durch einen Fluss – zum Base Camp führt. Hier ist für normale PKWs definitiv Schluss. Will man mit dem eigenen PKW anreisen, könnte man bis nach Dzhyly-Su fahren und von dort in ca. 2 Stunden zum Base Camp wandern.
Verschiedene lokale Tourenanbieter bieten ‚light packages‘ an, bei denen z.B. nur der Hin- und Rücktransport enthalten ist. Bei ElbrusTours kostet eine (Hin- oder Rück-)Fahrt EUR 40.- pro Person, sofern an diesem Datum ohnehin schon ein Transfer stattfindet. Für ausserordentliche Transfers werden EUR 190.- pro Fahrzeug in Rechnung gestellt. Die Bezahlung erfolgt gleich vor Ort in bar.
Lager / Wegpunkte auf der Nordroute
Base Camp (43.4293,42.5119) – 2594m
Das Basislager befindet sich am Rande einer grossen, grasbewachsenen Ebene, wo Kühe und Pferde weiden. Verschiedene Tourenanbieter haben unterdessen Baracken (mit Küchen und Aufenthaltsräumen) aufgebaut und ihr Rayon eingezäunt, um sich vor neugierigen Wiederkäuern zu schützen. Daneben hat es viel Platz für eigene Zelte. Gleich neben dem Base Camp befinden sich die Silver Springs, eine Mineralwasserquelle mit eiskaltem, trinkbarem Wasser. Hierhin kommen im Laufe des Tages viele Kurgäste von Dzhyly-Su, um sich ein kurzes Bad zu gönnen.
Airfield (43.4168,42.4945) und Mushrooms (43.4036,42.4997)
Als ‚Airfield‘ oder ‚Aerodrome‘ wird die Ebene auf ca. 2840m bezeichnet, die man auf dem Weg zum Hochlager überschreitet. Die Deutschen sollen es während des 2. Weltkrieges als Flugfeld benutzt haben.
Die ‚Mushrooms‘ (russ. ‚Griby‘) sind Steinpilze, die auf einem Bergrücken auf ca. 3180m in den Himmel ragen. Sie liegen nicht direkt an der Aufstiegsroute, werden aber oft in einer kurzen Akklimatisationswanderung ab dem Base Camp besucht.
Biwakmöglichkeiten zwischen dem Base Camp und dem Hochlager
Möchte man nicht gleich von 2600m auf 3700m aufsteigen, lassen sich zwischendrin geeignete Biwakplätze finden: Gleich unterhalb der Steinpilze / Mushrooms (43.4045,42.5012): Gut windgeschützt zwischen ein paar Felsen. Offenbar soll es weiter oben eine Wasserquelle geben. Von den Mushrooms kann man über den flachen Rücken in Richtung Hochlager hochgehen.
Auf der Ebene zwischen Airfield und Mushrooms (43.4072,42.4940): Unser Biwakplatz. Schöne Ebene, sehr still, jedoch nicht sehr windgeschützt. Gleich nebenan hat es einen kleinen Bach. Dieser führt jedoch nicht immer Wasser; Wasserqualität nicht über alle Zweifel erhaben (abkochen/filtern).
Unterhalb des Hochlagers auf ca. 3450m (ca. 43.3995,42.4822): Hier gibt es ein paar mit Steinen angelegte Biwakplätze. Keine Informationen über Wasserquellen in der Nähe.
Hochlager Severnyj Prijut (43.3890,42.4762) – 3750m
Das Hochlager erstreckt sich über eine Fläche von vielleicht 4ha am Rande des Ullukol-Gletschers. Am Rande des Geröllfeldes befinden sich Baracken und kleinere Hütten der kommerziellen Anbieter. Dazwischen finden sich überall freigeräumte Biwakstellen, wo man das Zelt aufschlagen kann. Ein Bach mit Schmelzwasser fliess durch das Geröllfeld und dient als Wasserquelle. Ausser ein paar Toiletten-Zelten ist keine Infrastruktur vorhanden.
Lager bei den Lenz-Felsen (ca. 43.3683,42.4661) – ca. 4650m
In einigen Foren liest man, dass sich bei den Lenz-Felsen geeignete Biwakplätze befinden. Aus meiner Sicht trifft dies nur bedingt zu; die einzigen flachen Stellen, wo man ein Zelt aufstellen könnte, befinden sich in den Windkolken nahe bei den Felsen – und dort bläst der Wind bekanntlich stark. Dass dort auch Expeditionszelte vom Wind in Stücke gerissen werden können, zeigt das Foto unten. Um die Höhenmeter am Gipfeltag zu reduzieren, wäre ein Lager lediglich 1000Hm unterhalb des Gipfels natürlich zu begrüssen. Möglicherweise bläst der Wind zu anderen Jahreszeiten weniger stark; während unseres Aufenthalts am Elbrus konnten jedoch beinahe jeden Tag Windfahnen bis runter zu den Lenz-Felsen beobachtet werden.
Routenbeschreibung
Vom Base Camp wendet man sich nach Süden und wandert auf ausgetretenem Pfad, durch eine Schlucht, hinauf zum Airfield.
Diese Ebene überquert man schnurgerade. Über leichtes Geröll steigt man bis auf ca. 3000m, wo sich der Weg verzweigt. Links (östlich) geht es weiter zu den Mushrooms.
Rechts (westlich) führt die Route über den Grasrücken in Richtung Hochlager. Auf 3200m steilt der Pfad nochmals etwas auf, bevor es wieder flacher in Richtung SW geht (3400m), wo man auf die Seitenmoräne des Ullukul-Gletschers gelangt. Man folgt nun Wegspuren auf der Moräne, bis sich diese – unweit einer Ansammlung von Felsen – im Geröll verlieren (ca. 3600m). Nun sucht man sich den Weg durch das Geröll an den Horizont. Oben angekommen, steht man am Rand des Geröllfeldes des Hochlagers (ca. 3750m).
Vom Hochlager hält man sich zuerst streng nach S und steigt über den hier spaltenarmen Gletscher bis auf ca. 3850m. Nun wendet man sich nach SW und steigt über den mässig steilen Hang bis zu den Lenz-Felsen (4600m). Dabei ist auf Spalten zu achten.
Nun ergeben sich zwei Möglichkeiten, um zum Westgipfel zu gelangen: Man hält weiter auf den Ostgipfel zu und steigt gegen diesen empor bis auf ca. 5300m, wo sich die letzten Felsen befinden. Anschliessend quert man nach SWW zum Elbrus-Sattel, wo man auf die Südroute gelangt. Oder aber: Schon kurz oberhalb der unteren Lenz-Felsen verlässt man die Ostgipfel-Route und hält westlich aller Felsen auf den Sattel zu. Dabei gilt es die Seraczonen zu beachten, die sich weiter unten befinden. Beim Sattel gelangt man auf die Südroute.
Im Sattel vereinigen sich die beiden Routen. Ziemlich steilt führen nun (wohl meistens) Trittspuren hoch auf das Gipfelplateau. Vom Rand des Plateaus bis zum höchsten Punkt leiten Markierungsstangen (ca. alle 20m) den Weg. Der höchste Punkt befindet sich am westlichen Ende des Plateaus. Für den Abstieg bietet sich dieselbe Route an.
Besteigungsbericht
Sonntag, 24. August
Wir verbringen den Tag in Kislovodsk und bereiten uns auf die kommende Woche vor.
Montag, 25. August
Um 7 Uhr werden wir beim Hotel Krim in Kislovodsk abgeholt. Mit dem Offroader, vollgepackt mit Nahrungsmitteln für das Base Camp, fahren wir los. Kurz nachdem wir die Stadt verlassen haben, wird die Strasse holprig und wir stellen uns auf eine lange, unangenehme Fahrt ein. Doch – o Wunder – schon bald wechselt die Unterlage und wir finden uns auf einer perfekt asphaltierten Strasse wieder. In zahlreichen Kurven, immer wieder rauf und runter, fahren wir gen Süden. Nach ca. 2 Stunden biegt unser Fahrer nach rechts ab auf die Geländepiste. In der kleinen Ganggruppe fährt er behutsam weiter zum Base Camp. Einige ziemliche schiefe und steile Passagen sind drin, und kurz vor dem Base Camp queren wir den braunen Fluss.
Im Base Camp werden wir herzlich von der Köchin in Empfang genommen. Nach einem Tee und ein paar netten Gesprächen brechen wir mit unseren schweren Rucksäcken auf. Es ist erst Mittag und wir beschliessen, noch einige Höhenmeter aufzusteigen. Nach einer Rast unterwegs schlagen wir unser erstes Lager auf der Ebene unterhalb der Mushrooms auf und machen es uns gemütlich.
Wir geniessen den Sonnenschein und die Blicke auf den wolkenverhangenen Elbrus-Gipfel. Später kochen wir uns eine Suppe, besprechen die Route des nächsten Tages, Kochen das Abendessen und legen uns bald einmal schlafen.
Dienstag, 26. August
Kurz vor dem Sonnenaufgang stehen wir auf. Noch vor dem Morgenessen wandern wir ohne Gepäck zu den Mushrooms, geniessen die Morgenstimmung und schreiben ein paar SMS – hier hat man Handyempfang. Später wandern wir zurück zu unserem Lager, essen Müesli, trinken Kaffee und packen alles wieder ein.
Auf der Aufstiegsroute steigen wir gemächlich hoch zum Hochlager. Wir schwitzen ziemlich und freuen uns bereits auf die Bouillon zum Zmittag. Im Hochlager angekommen, suchen wir einen geeigneten Biwakplatz, finden bald etwas geeignetes und schieben noch ein paar Steine hin und her, damit wir sicher auch genügend Platz haben. Den Nachmittag verbringen wir mit Dösen, Suppe kochen und angeregten Gesprächen.
Mittwoch, 27. August
Heute ist Akklimatisationstag. Wir starten kurz nach 8 Uhr mit leichtem Gepäck. Ziel ist es, zu den Lenz-Felsen hochzusteigen und einen geeigneten Biwakplatz zu finden. Am nächsten Tag wollen wir dann mit der ganzen Ausrüstung hoch, um dann am Freitag den ersten Gipfelversuch zu wagen. Bald zeigt sich aber: Heute weht ein ziemlich frischer Wind.
Die beiden Gipfel, am Morgen noch wolkenfrei, verschwinden schon bald einmal. Uns bläst ein eisiger Wind entgegen, Eisstücke peitschen uns ins Gesicht und wir können uns, je weiter wir hochsteigen, manchmal kaum auf den Beinen halten. Bei einer Pause fliegt mir blöderweise ein Handschuh davon. Glücklicherweise bleibt er weiter unten in einer Gletscherspalte hängen. Am Seil lasse ich meinen Bruder in die Spalte, und so können wir den Handschuh retten! Gegen den Wind kämpfen wir uns weiter bis zu den Lenz-Felsen auf 4600m hoch. Biwakieren hier oben? Nein danke! Nach einer kurzen Pause steigen wir wieder ins Hochlager, wo wir um 14 Uhr ankommen.
Wir sind zwar etwas ausgepowert, doch mit der Höhe funktioniert alles bestens. Gegen Abend beschliessen wir: Falls das Wetter morgen gut ist – wieso nicht gleich einen Gipfelversuch wagen? Wir packen die Rucksäcke und legen uns um 20.30 Uhr schlafen.
Donnerstag, 28. August
Bereits drei Stunden später reisst uns der Wecker aus dem Schlaf. Eine sternenklare Nacht, der Wind scheint passabel – wir starten zum Gipfel! Wie zuvor abgemacht, schlagen wir ein sehr gemächliches Tempo an. Wir wollen unsere Kräfte auf die 1900 Höhenmeter gut verteilen. Im Licht der Stirnlampen wandern wir auf dem Gletscher durch die stockdunkle Nacht. Der Weg zu den Lenz-Felsen kommt uns unendlich lange vor. Einmal pro Stunde legen wir eine Pause ein, trinken etwas Eistee oder Suppe und nehmen einen Energieriegel zu uns.
Mitten in den Lenz-Felsen entdecken wir ein verlassenes Zelt, vom Wind zerfetzt. Essensvorräte liegen herum. Zuerst denken wir: Liegt hier noch jemand im Zelt? Von anderen Bergsteigern hatten wir erfahren, dass zwei Tage zuvor ein Helikopter nach jemandem gesucht hatte. Später wird sich aber herausstellen, dass das dunkle Ding im Zelt kein Schlafsack ist, sondern das schneegefüllte Innenzelt.
Im weiteren Verlauf wird die Orientierung in der Dunkelheit zunehmend schwierig. Wir beschliessen, eine Pause einzulegen und zu warten, bis die Dämmerung anbricht und wir uns besser orientieren können. Weiter unten sind zahlreiche Seilschaften im Aufstieg zu sehen. Eine Seilschaft kehrt bei den Lenz-Felsen um, wohl wegen dem Wind, der unterdessen zugenommen hat. Sobald es hell ist, erkennen wir den Routenverlauf wieder besser. Wir beschliessen, die Ostgipfel-Route nun zu verlassen und direkt auf den Sattel hin zu halten. Soo weit scheint das gar nicht mehr zu sein, und wir befinden uns auch schon auf ca. 4700m.
Seilfrei steigen wir über die windbearbeitete Schneedecke in Richtung Sattel, doch der will und will einfach nicht näher kommen. Die Höhe macht sich langsam bemerkbar, der Atem geht schneller, die Beine sind müde. Die Pausen werden häufiger. Doch noch immer sind wir guten Mutes, den Gipfel erreichen zu können.
Wir wechseln uns ab: Mal geht mein Bruder voraus, mal ich. Gegen 10 Uhr erreichen wir den Sattel, und unsere Befürchtung tritt ein: Am Himmel zeigen sich erste Wolkenfetzen. Es dauert keine halbe Stunde, bis der Blick auf den Westgipfel verdeckt ist. Wenig später ziehen die ersten Nebelschwaden über den Sattel. Weil wir mit Karte und Kompass ausgerüstet sind und bereits die Spur der Südroute ausgemacht haben, können wir es verantworten, weiterzugehen.
Auf der steilen Spur geht es nun, Schrittchen für Schrittchen, in Richtung Gipfel. Schliesslich stehen wir am Rand des Gipfelplateus und wissen: Jetzt kann es nicht mehr weit sein. Seilschaften, die uns entgegenkommen meinen jedoch: ‚dwadzat minut‘ – zwanzig Minuten. Da wir uns nun im dichten Gewölk befinden, sind wir froh um die Markierungsstangen, die uns sicher bis zum Gipfel führen. Eine Stange nach der anderen passieren wir. Nun kann es nicht mehr weit sein. Noch eine Stange. Bei der nächsten Stange ist bestimmt der Gipfel. Nochmals 20 Meter. Immer noch nichts. Es erscheint endlos. Das Herz pumpt. Hier! Plötzlich steilt es nochmals etwas auf und wir erkennen Umrisse einiger Menschen. Wir haben es geschafft! Erschöpft schliessen wir uns in die Arme. Zwölf Stunden nach dem Aufbruch im Hochlager stehen wir auf dem höchsten Berg Russlands und dem höchsten Punkt Europas. Wir sind glücklich. Doch noch ist es nicht geschafft: Im Nebel gilt es nun den sicheren Rückweg zu finden.
Nach einer kurzen Pause und ein paar Fotos machen wir uns an den Abstieg. Zuerst entlang der Stangen, dann auf den Trittspuren hinunter zum Sattel. Hier treffen wir wieder auf unsere Spuren, die uns sicher auf die Nordseite hinunterführen. Als wir bis auf ca. 5000m abgestiegen sind, lichtet sich der Himmel auch zusehends wieder und wir erhalten freien Blick bis zum Hochlager. Um 16 Uhr kommen wir müde, aber glücklich am Hochlager an.
Den Abend verbringen wir im Zelt mit Dösen und Essen. An Schlaf ist nicht zu denken, zu aufgeregt sind wir noch, dass wir es geschafft haben.
Freitag, 29. August
Heute ist chillen angesagt. Wir liegen viel rum, schlafen, hören russisches Radio, rauchen, kochen, trocken die Ausrüstung. Heute wäre das Wetter für eine Gipfelbesteigung nicht besser gewesen als gestern. Schon früh trägt der Elbrus eine Wolkenmütze. Gegen Abend zieht ein Gewitter heran. Plötzlich höre ich etwas knistern. Das wird doch nicht etwa… Der Wanderstock, der als Fahnenstange dient, ist elektrisch geladen. Schnell räumen wir die Sachen ins Zelt und legen uns hin. Mir ist ziemlich mulmig zu mute.
Samstag, 30. August
Wir haben noch einen weiteren Reservetag zur Verfügung und können den Abstieg ins Base Camp auf zwei Tage verteilen. Gemütlich wandern wir zu unserem vorherigen Lagerplatz unweit der Mushrooms, schlagen dort das Zelt auf, waschen Kleider im Bach und kochen eine würzige Suppe. Den Nachmittag verbringen wir wieder gemütlich im Zelt und an der Sonne. Diese zeigt sich aber auch heute im Verlauf des Tages immer weniger.
Sonntag, 31. August
Nun folgt noch der kurze Abstieg ins Base Camp. Dort melden wir uns zurück beim Lager von Elbrustours und informieren uns über die Rückfahrt von morgen. Später erfrischen wir uns bei einem Bad in den Silver Springs und erkunden die Hügelchen und Tälchen rund um das Camp.
Montag, 1. September
Der Rücktransport nach Kislovodsk, ursprünglich angesetzt auf den frühen Morgen, verschiebt sich noch um etwas. Ein Träger muss den Rucksack eines Kunden noch im Hochlager holen gehen.
Nach dem Mittag – wir werden gut bewirtet – geht es schliesslich in einem UAZ, zusammen mit zwei Holländern, einem Norweger und zwei Russen, über die abenteuerliche Piste zurück zur Strasse und weiter nach Kislovodsk. Bei einer grossen Pizza füllen wir unsere Energiespeicher wieder und lassen es uns gut gehen.
Dienstag, 2. September – Freitag, 5. September
Nach einem Bummel durch Kislovodsk fahren wir mit dem Zug nach Mineralnye Vody. Von dort fliegen wir nach Moskau und verbringen in dieser tollen Stadt zwei erlebnisreiche Tage. Gorki Park, Kreml, Park Pobedy, Christ-Erlöser-Kathedrale, Stalins Megabauten, Nightlife, MacDonalds und ein Militärfestival auf dem Roten Platz.
Wetter und Verhältnisse
Wir haben ein – aus meiner Sicht – sehr gutes Wetterfenster erwischt. Nie mussten wir im Regen gehen, nie hat es geschneit. Dass es gleich beim ersten Gipfelversuch geklappt hat, ist nicht selbstverständlich; oder, wie es die Köchin im Base Camp gesagt hat: Elbrus does not accept everybody. Wir haben Leute im Hochlager getroffen, die schon seit 3-4 Tagen auf ein gutes Wetterfenster warteten und schon ziemlich demoralisiert waren. Klar, am Akklimatisationstag mussten wir gegen den Wind kämpfen und auf dem Gipfel war die Sicht gleich null. Aber unter dem Strich hatten wir Wetterglück.
Die Verhältnisse waren optimal: Unten blanker Gletscher (z.T. etwas belastend für die Füsse bei stundenlangem Steigeisengehen), oben guter Trittschnee; nie mussten wir durch tiefen Schnee waten. Die 1900m schafften wir im Abstieg in 4 Stunden mit ausgiebigen Pausen; das ist vor allem dem Sulzschnee zu verdanken, der sich am Nachmittag bildete.
Ausrüstung
Neben der üblichen Ausrüstung, die ich hier nicht genauer ausführen muss, möchte ich ein paar Gegenstände hervorheben:
Daunenjacke: Ohne Daunenjacke hätten wir es nicht auf den Gipfel geschafft. Sie war die perfekte Isolationsschicht unter der Windjacke.
Dämmsocken: Da wir keine Expeditionsstiefel hatten, zogen drei Paar Socken an: Zuerst ein Paar dünne Baumwollsocken. Darüber ein Paar Dämmsocken. Diese verhindern, dass die Feuchtigkeit des Fusses nach aussen tritt (oder diejenige von aussen nach innen) und der Fuss auskühlt. Darüber ein paar Wandersocken.
Skibrille: Weht ein kalter Wind, der einem permanent Eisstückchen ins Gesicht bläst, kann man die Augen auch unter der Sonnebrille kaum mehr öffnen. Eine Skibrille schützt die Augen und sorgt für eine uneingeschränkte Sicht.
Überziehhandschuhe: Sie sind zwar nur dünn, halten den Wind jedoch effektiv ab und verhindern so auch das Auskühlen der Hände.
Schapka: Die russische Militärmütze, zuerst eigentlich als Scherz gekauft, hat sich als komfortable, effektive Wärmeschicht am Kopf bewährt.
Radio mit Weltempfänger: Verkürzt die langen Nachmittage.
Wasserfilter: Wo fliessendes Wasser vorhanden ist, lässt sich mit Filtern (statt Abkochen) einiges an Brennstoff (bei uns: Benzin) einsparen.
Weitere Informationen
Video
- Datum
25. August 2014
bis 31. August 2014
- Region
Kabardino-Balkarien
- Teilnehmer
Alex
Esra
- Höhenmeter
4000m Aufstieg
4000m Abstieg
- SchwierigkeitT2WS